College Rivercruise
Das Leben an der Universität und im Speziellen im College hat sich in den letzten einhundert Jahren ungefähr so stark verändert wie das Zusammenleben von Mann und Frau in den letzten eintausend. Vorbei sind die Zeiten in denen sich die jungen Gentlemen gleich einem E.M. Forster Roman die Zeit mit Diskussionen über Rhetorik und Plato vertrieben und wilder Exzess mit zügellosem Apfelessen und unbändigem Chopinspiel gleichbedeutend war. Stattdessen wird mir an meinem ersten Abend im College von Tyler stolz eine Mülltüte präsentiert, in der sich der gestrige Mageninhalt von Byron befindet, der unfreiwillig in diese entleert und dann aus bizarren und unerklärlichen Gründen von seinen Floormates tiefgefroren wurde. Good times. An diesem Abend beschließe ich nichts mehr zu trinken und circa 25 Sekunden nach dem ich diesen Entschluss gefasst habe, breche ich ihn auch schon wieder.
Dies ist aber keinesfalls als Empfehlung zu lesen, das Leben in einer Wohngemeinschaft oder gar für sich alleine dem Collegeleben vorzuziehen. Viele Events die von den Dekanen oder den sozial engagierten RA’s der Colleges organisiert werden sind fröhliche und unschuldige Zusammenkünfte, in denen Kontakte geknüpft und gepflegt werden und von denen jugendfreie Erinnerungen fürs Leben zurückbleiben.
Der semi-annuale Cruise auf dem Swan River gehört nicht dazu.
Zwei Mal im Jahr, oder besser gesagt einmal pro Semester, mietet mein College ein Dampfschiff, dass für einen Abend die Studenten ein paar Stunden auf dem Swan River herumfährt. Der Swan River, der auch als „Perths natürlicher Herzschlag“ tituliert wird, ergibt sich aus dem Avon River im Nordosten Perths und ist bis zu seiner Mündung in den indischen Ozean ungefähr 65 Kilometer lang. Da sein Flusslauf unmittelbar die Skyline und so die Innenstadt von Perth taxiert, prägt der Fluss das Stadtbild ungemein und so gehört eine Flussfahrt mit einem der Dampfschiffe bei Tag oder Nacht zu einer der beliebtesten Touristenattraktionen in Westaustraliens Hauptstadt. Im Fluss scheint, zumindest in Stadtnähe, ein absoluter In-Spot für Quallen zu sein. Jedenfalls fühlt es sich so an, als wir beim Drachenbootrennen, einen Tag vor dem Rivercruise, mit jedem Paddelschlag ein Feld voller Quallen aufwühlen, die dann nicht selten vom Paddel ein Stück durch die Luft getragen werden bevor sie wieder zurück ins Wasser klatschen. Die Mannschaft vom konkurrierenden College, die unfreiwillig über Bord geht, wird, nachdem man sich genug über ihren Schaden amüsiert hat, ausgiebig für ihr Quallenbad bedauert.
Gewonnen haben wir trotzdem nicht. Egal, Hauptsache ich bin trocken. Für den nächsten Tag müssen noch einige Vorbereitungen getroffen werden, daher geht es vom Swan River Ufer sofort weiter nach Subiaco um zusammen mit diversen anderen meiner College-Genossen nach Utensilien für Kostüme zu suchen. Ein ganz so simples Bootsfahrt-Komasuff-Unternehmen ist der Rivercruise denn dann doch nicht. Jedes Semester gibt es ein neues Thema zu dem man sich entsprechend einkleiden muss. Ansonsten wird man vermutlich brutal zerstückelt. Ohne Kostüm aufzutauchen wagt jedenfalls niemand.
In ganz Perth gibt es eine Menge so genannter Op-Shops. Op ist kurz für Opportunity (Gelegenheit) und die Shops sind so etwas wie Second Hand-Läden. Sammy’s, betrieben von den guten Samaritern, ist für solche Sachen äußerst beliebt und unterhält ganze Ketten solcher Op-Shops. Aber auch die Heilsarmee hat Op-Shops in Perth. In Subiaco gibt es gleich mehrere dieser Shops dicht beieinander, so dass man eigentlich immer etwas Passendes findet. Schwieriger gestaltete sich da die eher essentielle Frage, was die eigentliche Verkleidung darstellen sollte. Das Kostümthema war dieses Mal nämlich relativ zwanglos gewählt worden: etwas das mit dem Anfangsbuchstaben deines Vornamens beginnt. Das ließ natürlich einerseits eine Fülle von Möglichkeiten zu, stellte einen andererseits aber auch vor die Qual der Wahl. Vorzeigeblondine Amy sah es als passende Gelegenheit ein relativ freizügiges Engelskostüm zu tragen und ihre Wahl wurde, zumindest von der männlichen Fraktion mit Wohlwollen begrüßt. Der kleine Brendon erschien zum Cruise als Marienkäfer (Bug) was auch wiederum sehr niedlich aussah.
Alison machte es sich denkbar einfach, kaufte sich einen hässlichen Hut und ein patriotisches Australien-Tanktop und ging als Einheimische. Wir restlichen Last-Minute-Opshopper waren aber noch schwer unentschlossen.
Für Ian wurde nach kurzem Gruppen-Brainstorming ein eigener Superheld entworfen. Für Irish Man gab es dann, dank der Tatsache, dass sich am nächsten Tag der auch in Westaustralien gefeierte St. Patricks Day jährte, auch genügend Accessoires. Jacob entschied sich nach dem Grandiosen Fund eines zerschlissenen Lila Anzugs für Batmans teuflischsten Widersacher. Becky zog sich etwas jämmerlich aus der Affäre indem sie sich mittels weißem Tanktop und Schirmmütze in einen „Boy“ transformierte und Loise wählte die kreative (wenn auch spartanische) Variante und ging als „Love“, ein Kostüm, dass ausschließlich aus mit Lippenstift aufgetragenen Herzchen auf Gesicht und Kleidung bestand. Und ich? Letztendlich profitierte ich wie Südafrikaner Ian vom anstehenden St. Patricks Day und besorgte mir zwei Tuben grüne Körperfarbe. Kombiniert mit einer zerschlissenen Jeans und einem zerfetzten Shirt würde ich mich in Bruce Banners alter Ego Hulk verwandeln.
Die eigentliche Prozedur der Verwandlung war dann doch etwas nervender als man das aus den Filmen oder Comics kennt. Ein Wutausbruch reicht bei Dr. Banner eigentlich aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Bei mir klappte das aus irgendeinem Grund nicht, und so musste ich auf die manuelle Methode zurückgreifen, was bedeutete, dass ich Gesicht, Arme, Oberkörper und Teile meiner Beine vollständig mit grüner Farbe abdecken musste um dann, ohne abzufärben wohlgemerkt, Shirt und Jeans anzuziehen.
Eine zeitraubende und enervierende Prozedur, die durch Anwesenheit von Tom und Konsum von Marihuana nicht einfacher wurde. Nach ungefähr zwei Stunden war ich dann doch fertig, gerade noch rechtzeitig um am Vorglühen im Innenhof meines Colleges teilzunehmen. Hier zeigten sich dann die Kostümvarianten diverse Geheimniskrämer zu ersten Mal. Ostküsten Amerikaner Steve hatte sich, inspiriert durch den Film 300, als Spartaner verkleidet und sich eine abgefahrene Rüstung aus Pappkarton gezimmert. Auch Tony hatte zum Pappkarton gegriffen und verbrachte den Rest der Nacht in einer Kiste: Tony the TV. Übernerd Michael Pauley ging als „Mathematiker“ und trug deswegen ein hässliches blaues Button-Down-Shirt mit Stifthalter in der Brusttasche, was viele zu der Vermutung verleitete, er trage gar kein Kostüm.
Nach einigen Bier zum Aufwärmen ging es mit dem Shuttlebus zum Barrack Street Jetty, wo das Dampfschiff schon auf uns wartete. Wir gingen bei Einbruch der Dunkelheit an Bord und das Schiff legte pünktlich ab. Eigener Alkohol ist an Bord nicht erlaubt, was natürlich niemanden daran hinderte ein wenig Schnappes im Kostüm hereinzuschmuggeln. Vor allem Tonys Fernseher-Kostüm zeigte sich in dieser Hinsicht erstaunlich praktisch. Die Bar auf dem Boot hat aber ansonsten alles was das Herz begehrt, wobei Longdrinks, Wein und Shooter recht teuer sind. Ab einem gewissen Pegel ist einem das aber auch egal. Die Party auf dem Boot wurde schnell ausgelassen, durch hervorragende DJ-Arbeit, genügend Tanzraum und dem extravaganten Aussehen eines jeden Party-Gastes. Ungefähr 50 Leute waren zum Rivercruise erschienen und bis auf ein paar Ausnahmen, war jedes Kostüm einzigartig. Lachlan gewann am Ende die Trophäe für die beste Verkleidung. Er war nur mit Bastrock bekleidet und in aufwendiger Körperbemalung als Lemur erschienen. Mein persönlicher Favorit des Abends war und bleibt aber Mauritius-Insulaner Neer der als sexy Nonne verkleidet kam und seine Zigaretten professionell im Strapsband verstaut hatte. Die Bootsfahrt dauerte ca. vier Stunden und vom Deck aus konnte man einen wunderschönen Sternenhimmel beobachten. Irish Man verlor durch eine tückische Windböe seinen Hut und konnte nur unter körperlicher Anstrengung von einer Rettungsaktion seiner Kopfbedeckung abgehalten werden.
Insgesamt war der Abend ein voller Erfolg und kann absolut jedem der die Gelegenheit dazu hat empfohlen werden. Kostüme sind dabei natürlich nicht obligatorisch, machen aber eine Veranstaltung wie den Rivercruise definitiv amüsanter und interessanter. Für uns Studenten sollte der Abend erst nach dem Wiederanlegen richtig losgehen, …